Der allerletzte Brief

AF • 7. März 2025

Es muss einfach Schluss sein!



Eigentlich



Es gibt so Tage, da fallen mir längst vergessene Dinge in die Hände. Zum Beispiel eine Datei mit einem Text der (ursprünglich) die Überschrift »Blick durchs Schlüsselloch meiner Seele« trägt. Die Datei habe ich neugierig geöffnet und einen Brief gefunden.

Das Beitragsfoto kennzeichnet das Ende des Briefes. Das Foto oben steht sinnbildlich für den Anfang eines Lebens, wie es hätte beginnen und im Verlauf sein sollen. Eigentlich …

Aber was diesem »Eigentlich« folgt, kann alles Mögliche sein. Ob das »Eigentlich« im nachfolgenden Brief Realität oder lediglich ein Fantasiebild war, kann nur vermutet werden. Der Verlauf des Lebens, das dem »Eigentlich« folgte, lässt  allerdings anderes befürchten.

Lesen Sie diesen Brief, und es bleibt Ihrer Vorstellung überlassen, wie Sie es am Ende einschätzen werden – vielleicht richtig, vielleicht nicht richtig.


»Ich bin so wütend

Hättest du es nicht lassen können?

Hättest du nicht einfach wegbleiben könnten?

Fast 13 Jahre ging es ohne dich. Ohne dich für mich und ohne mich für dich. Und es ging doch gut.

Aber nein! Wie immer, weißt und kannst du alles – vor allem besser. Denkst du.

Und so hast du mich aus heiterem Himmel angerufen. Ich hatte Geburtstag und lag mit einer echten Grippe im Bett. Vielleicht war ich vom hohen Fieber geistig umnachtet und deshalb vom Kopf her nicht ganz auf der Höhe, als ich den Hörer in die Hand nahm und mich auf ein kurzes Gespräch mit dir einließ.

Froh seist du, mich endlich angerufen zu haben. Wäre es nach dir gegangen, hättest du dich längst gemeldet, sagtest du. Aber … dann hast du behauptet, dein Mann hätte dich daran gehindert, dir zumindest den häuslichen Frieden durch Missfallensäußerungen vergiftet. – Und das tat mir leid für dich.

Du wärest lieber noch einfach vorbeigekommen.

Oh weia!, dachte ich. Für diese eine Sekunde war ich hellwach und bei mir, war froh, dass ich dich nur am Telefon hatte.

Aber er (dein Mann) mag nicht mehr fahren, wenn es dunkel ist. Er sieht im Dunkeln nicht so gut, fährt unsicher.

Ein Glück für mich. Dafür war ich ihm fast dankbar.

Weiß der liebe Himmel, warum ich dann auf die Idee kam, dich besuchen zu wollen.

Du schlugst vor, die Schwester könnte mich abholen.

Das lehnte ich entschieden ab. Nein, deren Weg, falls er je zu mir führen sollte, sei ein anderer. Ich bat dich daher eindringlich, nichts zu unternehmen, um uns zusammenzubringen. Stattdessen kündigte ich einen Rückruf an, sobald ich gesund sei und mein Auto abgeholt hätte, dann könnten wir uns verabreden.


Hatte ich mich gefreut? 

Ich dachte: mhm … schon. Und es wäre doch richtig; wenigstens das.

Unsicherheit.


Bis zum Wiedersehen erfuhr ich dann, dass mein Sohn dir die Telefonnummer nur unter dem Vorbehalt gab, dass er mich zuvor fragen kann, ob ich mit deinem Anruf einverstanden sei. Aber mit einem selbstherrlichen »ich bin die Mutter« hast du dich über alles hinweggesetzt und mich angerufen, noch bevor ich meinem Sohn eine Antwort auf die Frage geben konnte.


Das Wiedersehen

Es war nicht unangenehm. Keine Vorwürfe. Kein Nachkarten. Relativ entspannte Unterhaltung; es war fast so, als wäre nichts gewesen.

Aber auch: keine Fragen. 

Ignoranz deinerseits, wenn ich von meinen beiden anderen Kindern sprach und als ich dir die Hochzeitsbilder meiner Tochter zeigte.

Keine Kommentare dazu, außer der Feststellung, dass mein anderer Sohn Vollbart trägt.

Keine Fragen, wie es ihnen geht. Keine Frage, was ich so mache.

Aber du warst ja erstaunlich gut informiert … – wie ich später erfuhr, hatte die Schwester mich im Netz »gestalkt«.


Die unerwünschte Konfrontation

Über die Einladung zum gemeinsamen Kaffeetrinken hatte mich gefreut. Als ich allerdings meine Geschwister erblickte, wurde ich plötzlich ganz leer im Innern. Meine Füßen schienen im Boden festgewachsen, meine Arme wie gelähmt und mein Kopf völlig unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen.

Die Schwester, die mir an den Hals flog und in Tränen ausbrach, berührte mich überhaupt nicht. Ich fühlte keine Freude, sondern einfach nur ein unbeschreibliches Nichts.

Der Bruder – kein Kommentar. Er ist wie er schon immer war und wohl auch bleiben wird: Ein seltsamer Kauz!

Dir sei es unvorstellbar, sagtest du, »eines Tages nicht mehr zu sein und fürchten zu müssen, dass meine Kinder nicht miteinander reden« . Das ist nachvollziehbar.

Dennoch finde ich: Du hast dich übergriffig verhalten und mir und deinen beiden anderen Kindern eine Situation aufgezwungen, nur damit du dich gut fühlen kannst. Reiner Egoismus.

Miteinander reden und miteinander reden ist nicht dasselbe. Wir plauderten, so würde ich es beschreiben, wobei ich selbst fast ausschließlich zuhörte. Da war die Schwester, die mich fast anschrie, sodass ich sie schon bitten wollte, die Lautstärke zurückzunehmen. Erst recht ihr oberflächliches Geschwafel, mit dem ich ebenso wenig anzufangen wusste wie mit der Tatsache, dass sie von »wir Mütter«  mit mir sprach und ich keine Verbindung herstellen konnte zwischen der jungen Frau, die damals auf meinem Sofa und dann im Café mir gegenüber saß. 

Zwischen beiden Szenen liegen 20 lange Jahre!!

Habe ich mit dem Bruder überhaupt ein Wort gewechselt? … Nein.


Nach diesem Treffen war ich völlig erschöpft. Die Eindrücke schwirrten mir durch den Kopf und polterten mir durchs Herz. Tagelang fühlte ich mich wie ausgestopft und gleichzeitig energetisch ausgesaugt.

Um mich von diesen belastenden Gefühlen zu befreien, glaubte ich, es genüge, meine Einstellung zu ändern. Ich überlegte, meinen Geschwistern eine Brücke zu bauen, auf der wir doch eine Ebene für unseren Austausch finden könnten. Damit könnte ich dir deine letzte Zeit doch ein bisschen verschönern; auch wenn ich damit nur den Schein des Bildes dieser absolut nicht heilen Familie nach außen aufrechterhalte.

Aber das funktionierte nicht wie sonst in meinem Leben. Im Gegenteil: Es bereitete mir Bauchschmerzen, Rückenschmerzen und schlaflose Nächte. Bis ich einsah, dass ich (!) keine Brücken zwischen uns mehr bauen kann!


Zuwachs

Ein erneutes Zusammentreffen bei einem Essen verursachte mir schon im Vorfeld Unbehagen, denn ich sollte auch ein Familienmitglied treffen, das ich noch nicht kannte. Und es hatte ja  von mir noch nicht mal etwas gehört. Oder, falls doch, was könnte es von mir wissen?

Ich war erleichtert, weil er nicht kam, der Sohn der Schwester. 

Kluges Kind, dachte ich, wobei Kind nicht zutrifft, denn der Knabe war bereits 20.

Als ich ihn dann doch bei anderer Gelegenheit traf, war ich angenehm überrascht. Ein kluger, fröhlicher und humorvoller Mensch, dieser Neffe. Erstaunt fragte ich mich an jenem Abend, welche Gene der junge Mann wohl abbekommen haben mag, denn er kommt intelligent und klug rüber. Ich denke, von seiner Mutter hat er sie nicht. Und die war an dem Abend wieder ziemlich gut mit zu viel Alkohol abgefüllt, gebärdete sich viel zu laut und krakeelig.

Ich war froh, als das Essen beendet war und jeder seiner Wege ging.


Ob wir geredet hätten

… hast du mich danach gefragt.

Nein. Was sollten wir reden?

Ich hatte dir dann widerwillig verziehen, dass du dich über meinen Wunsch hinweggesetzt hast, sie mit mir zu konfrontieren.

Du wolltest dich »aus allem Weiteren raushalten«. – Geglaubt habe ich dir nicht.

Ich beschloss kurze Zeit später, die Schwester zu besuchen und ihr zwei (mir) wichtige Fragen zu stellen.

Rückblickend betrachtet, hätte ich mir die Zeit dafür sparen können. Sie antwortete nämlich nicht.

An jenem Tag, es war früher Abend, trafen wir auch dich in der kleinen Bar an der Ecke. Du warst allein. Aber ich hatte ja kurz zuvor von deiner anderen Tochter erfahren, wo sich dein Mann aufhält und dass er dich oft  allein lässt. Auch, dass er sehr dem Alkohol zuspricht und spielsüchtig sei. Ich war weniger geschockt über den Inhalt dieser Aussagen, als darüber, in welch verächtlicher Weise deine andere Tochter davon sprach und es mit der Hoffnung verband, lieber dich als den Vater irgendwann pflegen zu müssen.


Ich war ein Chamäleon

Das Chamäleon ist in der Lage, sich vollkommen seiner Umgebung anzupassen. Es nimmt die Farbe seiner Umgebung an und wird von Feinden dadurch nicht gesehen.

Ich allerdings verschmelze nicht in solcher Weise mit der Umgebung, sondern mit den Menschen, mit denen ich zu tun habe. 


Der Abend in der Tapas-Bar war einer mit vielen Eindrücken. Und wieder fuhr ich ziemlich erledigt nach Hause, im Kopf die Fragen: 

Wer bin ich? 

Wer war ich gerade? 

Und die Antworten:

Das bin nicht ich. 

Das kann nicht ich gewesen sein.

Denn ich passe mich ja immer automatisch an. Meine Identität löst sich in solchen Situationen völlig auf.

Ich lache, wo ich nicht lachen kann oder wo es nichts zu lachen gibt.

Ich albere herum, weil nichts anderes gewünscht ist.

Ich erzähle nichts von mir, denn es interessiert niemanden.

Ich höre zu, aber es interessiert mich nichts von dem, was euch so sehr beschäftigt.

Und was ich beobachte, schockt mich ziemlich.


Als ich wieder zu Hause war, hatte ich Mühe, zu mir selbst zu kommen. Ich erlebte weitere schlaflose Nächte mit endlosen Dialogschleifen, Erinnerungen aus der Unterhaltung jenes Sonntags. Eindrücke, die noch klarer werden, Kopfschmerzen, Bauch- und Nackenverspannungen. Hundeelend hab ich mich gefühlt.

Aber eines wurde mir immer klarer: Da die Schwester nicht bereit ist, über Vergangenes zu sprechen und jene Entscheidung zu revidieren, die sie einst traf (keinen Kontakt mehr zu mir zu wünschen wegen der »anderen Lebenseinstellung«, was für mich bis heute kein Grund ist, einen anderen Menschen aus dem Leben auszuschließen), und – so mein Eindruck, nach ihrer Reaktion auf meine Fragen – sehr wahrscheinlich niemals von sich aus auf mich zugekommen wäre, brauche ich sie in meinem Leben nicht. Die Weigerung, ihre Entscheidung von damals zumindest als Irrtum ihrerseits anzuerkennen, lässt im Umkehrschluss nur zu, dass sie auch heute noch blödsinnigerweise daran festhält. Lieber lebt sie mit der totalen Verweigerung und Verdrängung unangenehmer Erlebnisse, Gefühle und Schmerzen und tut so, als sei sie glücklich. 


Mag ja durchaus sein, dass jemand, dem das dauerhaft gelingt, auch glücklich ist.

Mir ist das zu wenig. Dafür ist mein Leben zu kostbar.

Ich bin anders. War ich übrigens schon immer.

Ich fühle, ich denke und ich will verstehen.

Mit oberflächlichem Dasein und Verhalten will ich weder für mich noch im Umgang mit anderen meine Zeit verschwenden.

Und weil ich denke, fühle und verstehen will, muss ich gelegentlich auch in die Tiefe gehen. Ich will wissen, was woher kommt. 


Und DU?

Warum bin ich viel mehr du als ich selbst?. Ich bin überhaupt nicht ich selbst, sobald ich mit dir zusammen bin. Dann bin ich jemand anders. Ich bin dann DU.

Weil du unter meiner Haut sitzt. Irgendwann hast du dich energetisch in mich hineingeschlichen, so scheint es. Ich nehme viel mehr wahr, wie es in dir aussieht und fühle mich selbst erst wieder, wenn ich von dir weg bin. Dann streife ich nach und nach die Haut ab, unter der du sitzt, damit du verschwindest.


Ich mag nicht, wie ich bin, wenn ich du bin.

Ich mag dich nicht.

Ich mag deine Nähe nicht.


Die letzte Umarmung bei der Verabschiedung nach einem Kaffeetrinken war klebrig. Ich wollte zurücktreten und loslassen, aber du hast nachgefasst, und ich spürte in meinem Innern, dass ich davonrennen wollte. Seitdem wünsche ich mir den Abstand, den ich bis zu meinem Geburtstag hatte.


Ich hab es dir gesagt

Aber ich habe dich dabei schon wieder – wie mit dem Brief aus 2005 – in Watte gepackt. Weil ich nicht verletzen möchte, ich will immer höflich, anständig, rücksichtsvoll und freundlich sein. Ich möchte vor allen Dingen verstanden werden.

Fakt ist aber: Das geht mit dir überhaupt nicht. 

Das mit dem »einfach großzügig Vergeben« hat nicht funktioniert. Es gibt Dinge, die sind einfach nicht zu verzeihen. Weil sie ein Dasein nachhaltig prägen, weil sie ein Leben, besser eine Seele, schwer beschädigen können, und das so lange, bis Erkenntnis zu einer Veränderung führt oder der Betroffene stirbt.


»Dafür, dass ich das Leben geschenkt bekam, bin ich dankbar«, so schrieb ich im Brief von 2005.

Zu allem, was dem Tag meiner Geburt folgte, warst du als Mutter verpflichtet. Im Rahmen der Versorgung hast du dein Möglichstes getan. Darüber hinaus hast du versagt. Du hast deine Pflicht nicht erfüllt: mich nicht geschützt, mir keine Geborgenheit gegeben, du hast mich stattdessen ignoriert, verraten, mich als fantasievolle Träumerin und Spinnerin hingestellt, hast mit mir konkurriert und mich kleingehalten, aber mich viel zu früh erwachsen gemacht, mich missbraucht für deine Nöte (mit dem ungeliebten Ehegatten), mich schuldig fühlen lassen, wo du selbst und ganz allein verantwortlich bist.


Wenn du heute geliebt werden möchtest und Nähe genießen willst, muss ich dich enttäuschen! Ich kann dir nicht geben, was ich von dir nie erhalten habe.


Ich bin traurig

So lange schon bin ich traurig über die Tatsache, dass ich keine Kindheit erlebte, in der ich mich willkommen, wohl, warm, geschätzt, angenommen und geliebt, geschützt, verstanden und geführt fühlen durfte. Meist hatte ich Angst, fühlte mich unzulänglich, irgendwie in einem falschen Rudel. Verunsicherung war und ist teilweise noch immer mein Schatten, den äußerlich niemand sieht. Wie oft war ich bestrebt, durch meine Fähigkeit zur Clownerie die Stimmung in der Familie zu heben, wenn sie durch euer Schweigen so erdrückend war, dass ich vor Angst kaum atmen konnte? 

Hast du es je bemerkt?

Ist dir jemals aufgefallen, wie allein und verunsichert ich mich fühlte? 

Hast du je erkannt, wie beschämt ich oft war? 

Dass ich ein sensibles Mädchen und kein »ach so burschikoses« Etwas war, dem man alles zumuten durfte?


Mein Werden durch dein Wirken an und in mir hat mich in die unmöglichsten Beziehungen eintreten lassen. Immer auf der Suche nach Geborgenheit, Schutz, Wärme, Anerkennung,  nach Liebe, geriet ich an Männer, die mir letztlich gaben, was ich gewohnt war: das genaue Gegenteil von dem, wonach ich so sehr hungere. Solche Beziehungen können nicht von Dauer sein.

Und ich tat Dinge in diesen Beziehungen, für die ich mich heute sogar schäme und die ich nie wieder tun werde. Ich war ein »braves Mädchen«, also eine sehr gefügige und devote Frau. Geheimnisträgerin (sehr praktisch für Ehemänner, meist unglückliche und unverstandene, die ich meinte, retten zu müssen) und deshalb eine allzeit bereite Hure. Und so ziemlich alle Menschen jeden Alters (nicht nur die Männer) fanden in mir eine Zuhörerin, eine Ratgeberin, eine Lösungsfinderin, eine Retterin, krass gesagt: einen seelischen Mülleimer … bis sie sie nicht mehr brauchten. Weil ich ja so »burschikos und immer so stark bin«, brauchte ich natürlich niemanden. 

Keiner sah je, dass ich diejenige war, die am ehesten der Rettung bedurfte.

Und ich tat alles, um mir das nicht selbst einzugestehen und ließ mich nur allzu gerne ablenken von dem Schmerz, den es bedeutet hätte, mich selbst wirklich und wahrhaftig zu spüren!


Jetzt ist ein Punkt erreicht, an dem ich all das endlich emotional zulasse, was mich traurig macht. Und dahinter kommt die ganze Wut zum Vorschein. Eine sehr berechtigte Emotion! Zorn und Wut, die mir nie erlaubt waren, weil »sich das nicht gehört« für ein braves Kind. Und später ist das Kind natürlich vernünftig, da beherrscht es solche Gefühle gefälligst. 

Aber sie vergehen nicht. Sie sind nur verdrängt und schwelen gefährlich im Untergrund.

Jetzt erlaube ich mir, all das auszusprechen ohne Rücksicht darauf, dass »man nur eine Mutter hat und ihr selbstverständlich mit allem Respekt solches nicht sagen darf«.

Aber ich hatte keine Mutter, jedenfalls keine, die zu lieben imstande ist. Eine Amme ist liebevoller als die Mutter, die mich geboren hat. Die Amme gibt, ohne emotional etwas zurückzuerhalten. Der Vergleich mag ein kleines bisschen hinken.


»Nur wer von sich selbst gibt, gibt wahrlich« (Khalil Gibran),

und das ist wahr.


Warum bist du nicht geblieben, wo du warst?

Weil du »die Mutter« bist, die du auf einem Thron siehst, den es nie gegeben hat. Und gäbe es ihn, hättest du ihn wirklich nicht verdient.

Weil du deine Ordnung wiederhergestellt haben wolltest. Und das nur für dein eigenes Wohlbefinden. Über die Gefühle deiner Mitmenschen machst du dir keine Gedanken und setzt dich egoistisch über alle ihre Empfindungen und erst recht über ihre Wünsche hinweg.

Weil du egoistisch bist. Nur du selbst, deine Gefühle, dein Wohlbefinden, deine Geschichte zählen für dich, und du erhebst dich über alles und jeden.

Du fühlst dich immer als Opfer. Du übernimmst selbst keine Verantwortung für das, was du falsch machst, selbst wenn es dir bewusst ist, dass es falsch war. Dass du dich viel früher hättest melden wollen, glaube ich dir nicht. Du hättest es nämlich getan, weil du auf die Wünsche deines Mannes auch sonst pfeifst, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast.


Hier ist Schluss

Ich gehe meinen Weg. Dass wir uns nochmals begegnen mussten, habe ich mittlerweile eingeordnet als wichtige Erfahrung, weil es Unbearbeitetes gab, das erst jetzt zum Vorschein kommen sollte: immer noch vorhandene Trauer und vor allem Wut und die Einsicht, dass nicht ich die Gestörte bin, sondern DU. – An diesem Zustand trägst du keine Schuld, hast dich nicht selbst gemacht, aber du hättest, wie ich, in deinem Leben etwas daran ändern können. Hast du aber nicht. Schade. Aber das ist wohl dein Weg.

An einem Kontakt, der nur oberflächlich sein kann, bin ich nicht interessiert. Denn selbst dieser birgt kein Interesse an meiner Person und meinem Leben, an meinen beiden anderen Kindern, die genauso zu mir gehören, wie das eine, zu dem du den Kontakt noch hältst. 

Ich bin nicht wichtig für dich. Nicht für euch. Deswegen bedeutet mir die Verbindung zu euch nichts. 

Ihr seid die Vergangenheit, der ich entwachsen bin, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin und die mich noch einige Zeit damit zu tun haben lässt, was ich ablegen muss, um letztlich frei zu sein, ehrlich geliebt zu werden und glücklich sein zu können.« 


Hier endet der zitierte Brief. Eine gewisse Betroffenheit rührt sich in mir, mehr aber nicht.

Und ja: Das »Eigentlich« ist nur ein »Eigentlich«. So sollte ein Leben starten, und es sollte im weiteren Verlauf so gut wie möglich behütet werden. Eltern tragen die Verantwortung dafür.

Sicher kommt mancher nun mit dem Einwand um die Ecke, dass es eben andere Zeiten waren, damals. Ja, das stimmt. Dennoch gab es Eltern, die ihren Kindern die Liebe, die Fürsorge und den Schutz nebst allem, wozu sie sich sonst durch Elternwerdung verpflichtet hatten, zukommen ließen.

Die anderen Zeiten können deshalb nicht immer als Entschuldigung dafür herhalten, dass ein Mensch durch ein liebloses Elternhaus, das durch zu frühe Übertragung von viel zu viel Verantwortung, Parentifizierung, Demütigungen und seelische wie körperliche Gewalt u. a. geprägt ist, in seiner Seele schwer beschädigt wurde.

7. März 2025 by AF


Bruder. Mutter. Andere Tochter. Ich selbst.




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