Ich weiß nicht

AF • 24. November 2024

… was soll es bedeuten?



Es ist kein Geheimnis, dass ich zu den Menschen gehöre, die sich über viele Dinge gleichzeitig den Kopf zerbrechen, und das rund um die Uhr. Beinahe fasziniert beobachte ich manchmal meinen Verstand, der von einem Thema zum nächsten kommt, brillant Zusammenhänge erkennt oder konstruiert und Erkenntnisse gewinnt. – Leider zweifle ich daran, dass es jemanden interessiert. Vielleicht schreibe ich deshalb?


Haben Menschen aufgehört zu denken?

Gewiss nicht. Jedenfalls nicht ganz. Aber im Verlauf der zurückliegenden, sagen wir mal ca. 50, Jahre ist das Leben und was sich darin abspielt derart komplex geworden, dass es uns allen schwerfällt, uns mit eigenen Gedanken zu befassen. Davon, dass es schon nahezu unmöglich ist, in die Stille zu gehen, will ich mal gar nicht reden. Jedes Mal bin ich erleichtert, dass es mir dennoch gelingt.

Also Menschen denken schon noch, aber meiner Ansicht nach beschränkt auf sich selbst, auf das eigene Unmittelbare und gerade noch ein bisschen bis in den nächsten Kreis (Familie, Freunde, Verwandte) hinein. Weiter geht es nicht. Noch sehe ich, dass zumindest das stattfindet. Aber ich fürchte, es ist eine Frage der Zeit, wie lange noch. Tendenzen, dass es schon in den nächsten Kreis nicht mehr funktioniert bzw. nicht praktiziert wird, zeichnen sich ab.


Mit wem kann ich über komplexe Themen über den inneren Kreis hinaus reden?

Also aus meinem Umfeld weiß ich nur … nee, eigentlich niemanden, der mit mir fantasieren, analysieren und Lösungen entdecken mag. Ohne Übertreibung behaupte ich, dass manche meiner Ideen/Lösungen sogar weltbewegend sein können. Doch wohin ich auch schaue, es gibt einfach niemanden; nicht mal meine Kinder, nicht die anderen Menschen, die ich kenne. Alle sind sie liebens-wert, klug und lebenserfahren, aber das, was mir zu vielen Themen einfällt, dem können oder wollen sie nicht folgen. Manchmal gehe ich nach Hause oder ich verabschiede meine Gäste und frage mich, warum ich ihnen so viel erzählte, was sie bis zum nächsten Gespräch oder Treffen wieder vergessen haben. Denn ich beobachte schon während einer Unterhaltung, wie sich ihre Augen irgendwie nach innen verschließen und kann fast "sehen", wie sich ihre Gedanken aus dem Gespräch entfernen, sich mit etwas anderem befassen. Manche greifen sogar zum Smartphone und tun damit irgendwas, während sie heucheln, meinen Worten zu folgen. Ich hab das sogar mal getestet, um mich selbst zu prüfen, ob ich mir das einrede oder nicht. Mitten im Satz hörte ich auf zu sprechen … es fiel gar nicht auf und man wandte sich einem neuen Thema zu.

Traurig.


Wohin soll die Reise gehen?

Eine Frage, die ich mir stelle, seit ich an meinem Geburtstag in diesem Jahr (2024) die Klinik verlassen habe, hier zu Hause saß und mich ganz fremd und deplatziert fühlte. Das Gefühl hat sich inzwischen zwar positiv verändert, aber trotzdem bleibt die Frage nach dem Wohin, denn ein Zuhausegefühl stellt sich nur schwach und selten ein.

Bilder bleiben liegen oder stehen, und ich habe keine Lust, sie aufzuhängen, keine Idee, wohin ich sie hängen will.

Hier und da könnte ich meine Einrichtung optimieren. Aber mal abgesehen davon, dass mir die Mittel fehlen, habe ich auch dazu überhaupt keine Lust.

Der Grund: Ich weiß einfach nicht, ob ich hierbleiben werde. Mit jedem Bild, das ich an die Wand nageln würde, hätte ich das Gefühl, mich selbst hier festzunageln. Momentan kann ich mich einfach nicht festlegen. Es zieht mich nichts wirklich konkret nach irgendwo. Aber wenn ich mir die Frage stelle, was mich eigentlich hier hält, wird es in meinem Innern brenzlig. Da rumoren plötzlich unangenehme Gefühle.

Nun ja, und wenn der Mensch nicht weiß, wohin, wird er natürlich auch nicht fündig.

Zum Beispiel zeigt sich aktuell kein akzeptables Domizil.


Gefühle und … die Antwort?

Die Frage danach, was oder besser WER mich hier hält verursacht also unangenehme Empfindungen. Gucke ich mal genau hin, fühle ich Enttäuschung, Traurigkeit, Einsamkeit und Distanz. Letztere nicht nur räumlich. Irgendwie kreisen Leben und Welt um mich herum. Beim Waldrundgang kam mir das Bild eines großen Kreisverkehrs in den Sinn, der mindestens 10 Ausfahrten hat. Keine einzige lockt momentan zum Abbiegen. Seltsam.

Distanz … und nicht nur räumlich, tja … Inzwischen klammere ich meine Kinder in Bezug auf mein persönliches Leben fast ganz aus. Sie haben selbst Familie, Jobs und Interessen, in denen sie voll und ganz aufgehen. Es bleibt wenig Zeit und vermutlich auch Kapazität, sich mit mir über Dinge, die mir am Herzen liegen, auseinanderzusetzen. Daher sind die Momente eher selten, in denen es gelingt, tiefgehende Unterhaltungen zu führen.

Auch scheinen sie über ihren Alltagsstress oder -trott zu vergessen, einmal nachzufragen, wie denn dies oder jenes, worüber wir sprachen, ausgegangen ist. Oder einfach mal: Mama, wie fühlst du dich momentan? Anstatt: Wie geht es dir?

Ich bin überzeugt davon, dass das durchaus richtig ist. Meine Kinder sind keineswegs verantwortlich oder gar zuständig dafür, sich um mich zu kümmern. Ich notierte erst neulich in meinem Tagebuch, dass sie nicht die "Zeugen meines Lebens" sein können und sollen. Letztlich geht es mir auch nicht um ein Kümmern, sondern um Anteilnahme zum besseren, auch emotionalen Verstehen.

Ich selbst hinterfrage nahezu alles, insbesondere, wenn es darum geht, wie meine Kinder sich fühlen. Aber ich erkenne gerade wieder, dass ich zu hohe Erwartungen habe, wie übrigens immer. Andere Menschen sind nicht wie ich, das muss ich mir stets und ständig wieder bewusst machen, um keine Enttäuschung zu fühlen und die (vermutlich notwendige) Distanz insbesondere meiner Kinder zu mir verstehen und akzeptieren.

Mein persönliches Fazit: Räumliche Distanz führt häufig zu einer emotionalen. Räumliche Nähe führt nicht zu mehr emotionaler Nähe. Was bleibt, ist gute zwischenmenschliche Kommunikation. In dieser kann man sich durchaus nahe einander fühlen. Allerdings muss sie stattfinden. Je weniger miteinander kommuniziert wird, umso größer ist die Gefahr der Entfremdung. Und Letztgenannte findet bereits statt, wenn nach einem "Wie geht's dir?" nicht weiter gefragt wird, und die Frage "Wie fühlst du dich im Moment?" gar nicht erst gestellt wird.


Zeichen

Ein lieber Freund sagte: "Das sind doch klare Zeichen."

Puh, dachte ich, und stellte fest, dass ich das genauso sehe. Das Geschäft fällt zusammen … wachsende Unzufriedenheit und Stress … Rohrbruch … vorübergehender Verlust des Zuhauses … Ärger mit dummen Menschen … als Ergebnis von all dem im Krankenhaus gelandet … nicht mehr hier ankommen … laufend kommen neue Ärgernisse hinzu (jetzt feuchter Keller, desolate Terrasse, "kuriose" Mieterwechsel … immer noch nicht menschlich hier ankommen können … bei meinen Waldrunden inzwischen häufig Unmut, weil mir überall Menschen mit viel zu vielen Hunden begegnen (nichts gegen Hunde, aber inzwischen geht 1 Mensch mit mindestens 1, häufig aber mit 3 bis 5 Hunden "gassi"), das ist immer verbunden mit Achtgeben, ob die Halter ihre Tiere im Zaum haben oder diese friedlich erscheinen; es ist jedenfalls selten geworden, dass mir ein einziger Mensch ohne tierische Begleitung über den Weg läuft … es mangelt an Kontakten, was vielerlei Gründe hat, auf die ich in einem weiteren Beitrag eingehe.

Last but not least: "Willkommen zu Hause". Dieser Satz erklingt immer, wenn ich mit Google-Maps nach Hause fahre und allein wegen dieses Satzes Maps einschalte. Es hatte von Anfang an – ich wohne im kommenden April 6 Jahre hier – etwas Heimeliges, es fühlte sich gut an. Nach einem Update von Samsung schwieg Google Maps. Ein nüchternes "Das Ziel befindet sich auf der rechten Seite", war alles, was zu hören war. Ich war sehr enttäuscht. Und verwundert.

Der liebe Freund sagte: "DAS ist ein Zeichen!" Und er betonte das so dermaßen, dass es mir nicht mehr aus dem Kopf geht.

Die Frage nach "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?" wird sicher in nächster Zeit beantwortet werden können.


Wohin danach die Reise gehen soll? Das sehe ich noch nicht sicher. Die hier dargelegten Gedanken, sind erstmal nur Randnotizen, die sich um mein eigentliches "Problem" herumlegen. Das "eigentliche" Problem versuche ich zurzeit herauszufinden. Das liegt, dazu muss man kein Psychologe sein, mitten in mir selbst.


Nachdenklich, herzlich grüßend

AF


Die Fotos dieses Beitrags stammen von Gert Altmann (www.pixabay.com)


von AF 7. März 2025
Es muss einfach Schluss sein! 
von AF 23. Februar 2025
Verzicht ist kein Verlust Erkenntnis schlafloser Nächte
von AF 31. Dezember 2024
W A N D E L
von AF 30. Dezember 2024
Tag 2 vor der Jahreswende … 
von AF 29. Dezember 2024
Tag 3 vor dem Ende 2024 
von AF 28. Dezember 2024
Tag 4 vor dem Ende von 2024 
von AF 27. Dezember 2024
Tag 5 von 5 
von AF 23. Dezember 2024
Ladies & Gentleman – Umgangsformen Stand 2024
von AF 28. November 2024
Reise ins Unterbewusstsein …
von AF 19. Oktober 2024
Wird es je wieder hell? 
Weitere Beiträge