Bälle, die uns zugeworfen werden

AF • 19. September 2024

Antworten in uns

Dass ich aktuell in einer Situation stecke, die … sagen wir mal, unerfreulich, negativ-stressreich und belastend ist, können Sie in den vorherigen Beiträgen meines Blogs lesen, falls Sie diese nicht längst gelesen haben. In Situationen, in denen wir nach Antworten auf unsere Fragen suchen, dabei um uns selbst kreisen und nicht fündig werden, hilft oft nur eins: ganz still werden, Abstand nehmen – aufgeben. Und das ist dann keine Kapitulation, sondern weise Einsicht.


Ein wohltuender Knock-out

Nach einer relativ langen Zeit bin ich an einen Punkt gekommen, wo ich mit meinem Latein am Ende bin. Ich nenne den Punkt "die absolute Ratlosigkeit". Denn nichts, was ich zuvor monatelang gründlich durchdacht in die Tat umsetzen wollte, funktionierte. Aufgeben wollte ich nicht, denn das mache ich eigentlich nicht. K.o. gehe ich aber manchmal doch. Ich lag vor drei Tagen auf meiner Matte mit ausgebreiteten Armen, atmete tief ein und aus und sagte laut: »Ok, ich bin ratlos, bin am Ende. Ich überlasse mich und meine Angelegenheiten jetzt dem Universum.«

Das hat nichts mit Esoterik zu tun, es ist kein Hokuspokus, kein spinnerter Kram. Was dann? Ist es etwas Geheimnisvolles? Mystisches? Nein, auch das nicht, und ich behaupte nicht, dass ich die tatsächlichen Zusammenhänge wirklich erklären könnte. Möglicherweise steckt ein gutes Stück Wissenschaft aus der Psycho-Ecke darin, das wäre für mich am ehesten nachvollziehbar.

Jedenfalls mache ich nicht zum ersten Mal in meinem Leben die Erfahrung eines selbst herbeigeführten Knock-out mit der befreienden Wirkung von Abgeben, Loslassen, Lockermachen.

Der guten Ordnung halber möchte ich anmerken: Es handelt sich bei diesem K.o. nicht um das, was beim Boxen passiert. Der hier angesprochene K.o. ist nur bildlich gemeint.


Die Auswirkung

Abgelenkt durch die Vielfalt äußerer Reize fällt es mir schwer, überhaupt konzentriert zu bleiben. Beeinflusst durch die Gedanken, die ich mir im Hinterkopf mache, weil ich Probleme mit mir herumschleppe, leidet meine Aufmerksamkeit; und das, während ich "vorn" arbeite und agiere. Wird dieser Zustand richtig schlimm, stehe ich irgendwann neben mir, und mir passieren Fehler. Auch schlafe ich schlecht.

Nun ist es kein Geheimnis, dass in der Entspannung die Atmung tiefer und das Herz weiter werden, dass das Hirn zur Ruhe kommt. In dieser Weise "runtergefahren" wird auch der Blick weiter und schärfer. Vor allem jedoch ist die Aufmerksamkeit deutlich verbessert.

Die Auswirkung meines freiwilligen Knock-outs war nicht nur gute Entspannung und ein angenehm befreiendes Gefühl, sondern mir kamen Antworten auf meine Fragen in den Sinn, für die ich zuvor stressbedingt blockiert gewesen war.

Jetzt sehe ich klar.


Innen und Außen

Auch kein Geheimnis ist, dass wir eigentlich ständig in irgendeinen Spiegel schauen. Unsere Mitmenschen spiegeln uns ebenso wie unsere Umgebung. Ich werde das jetzt nicht psychologisch vertiefen, denn dazu gibt es reichlich Lektüre, die das besser als ich erklären kann, und ich will Ihre Zeit zum Lesen nicht überbeanspruchen.

Wie innen, so außen – und natürlich umgekehrt. Ich schaute mich um und erblickte, dass ich immer noch CHAOS um mich herum habe. Erst war es der Rohrbruch, der für Umstände sorgte, die mich nicht nur aus meiner Wohnung vertrieben. Ein Teil meiner Sachen aus dem Kleiderschrank und aus meinem Büro hatte ich in der Ausweichunterkunft, wo ich weder wirklich wohnte noch normal arbeiten konnte. Der Rest war hier: im Keller, im Fahrradkeller und last but not least in der völlig vollgestopften Küche "vergraben". Stets war ich auf der Suche nach irgendwas, das ich brauchte, oder ich stellte fest, dass ich beim Postholen in meiner Wohnung plötzlich etwas brauchte, das ich in der Ausweichunterkunft deponiert oder liegen gelassen hatte. Alle zwei Wochen zog ich für zwei Tage und Nächte wieder um in eine weitere Unterkunft – wieder packen, fahren, bisschen auspacken, campieren und zurück. Ein einziges Hin und Her, das mich nicht zur Ruhe kommen ließ.

Zurück in meiner Wohnung: immer noch CHAOS. Einfach wieder einziehen und da weitermachen, wo ich ausziehen musste, so hatte ich mir das gedacht. Aber Pustekuchen! Wochenlang räumte und stapelte ich, suchte ständig zusammen, was ich brauchte, dazwischen hatte ich etwas Arbeit (die auch immer weniger wurde – oh je!!!), dann wurde ich auch noch ernsthaft krank.

Langer Rede kurzer Sinn: Ich wollte mir mein Zuhause nach und nach zurückerobern, doch das gelang einfach nicht. Seit ich nun den Keller räumen musste, weil der jetzt zu feucht ist, um dort etwas zu lagern, herrscht beinahe das gleiche Chaos in meiner Wohnung wie vor einem Dreivierteljahr. Außerdem suche ich manche Dinge noch immer.

Obendrein bin ich gerade überzeugt, dass das Chaos im Außen mein Inneres spiegelt …


Erkenntnisse

Das Chaos außen spiegelt das Chaos im Innern. –

Das ließ ich mal wirken.

Im Außen gelingt es mir derzeit nicht, Ordnung zu schaffen. Jeder Versuch wird von irgendwas/irgendwem vereitelt. Wenn also dieses Dauerchaos im Außen mir spiegelt, dass die gleiche Unordnung im Innern herrscht … OHA!!

Gleichzeitig blieben mir aus Unterhaltungen bestimmte Worte im Sinn haften: und zwar: "übersehen", dann  "Parallele" und "Innen wie Außen".

Das waren die Bälle, die man mir im „Spiel“ zugeworfen hatte, und das passiert mir häufiger.

Was übersehe ich, fragte ich mich. Die Parallele scheint mir das Außen und Innen zu sein … Mhm, was genau sorgt für Chaos im Innern, fragte ich mich, und was übersehe ich, denn das Außen habe ich ja täglich vor Augen.

Wie immer ging ich zur Klärung mit mir selbst in den Wald. Da stellte ich mir genau diese Fragen laut. (Ich habe meistens mein Diktiergerät zur Hand, wenn ich im Wald unterwegs bin. Gute Einfälle sind recht flüchtig und Schreibzeug im Wald eher umständlich.) Aus der zuvor eingetretenen Entspannung fiel meine Aufmerksamkeit direkt auf meine verschiedenen zwischenmenschlichen Verbindungen und damit auf die Dinge, die ich tue, obwohl mein Gefühl mir etwas anderes sagt. Bei diesen Verbindungen geht es vor allem um Menschen, die mir nahestehen, und  "Dinge", die ich tue, obwohl ich es eigentlich nicht will oder nicht mehr will.

Im Zentrum, so erkannte ich, geht es um meine (fast) endlose Hilfsbereitschaft sowie die „Begeisterungsfalle".

Die Einzelheiten zu all diesen Verbindungen, in denen ich durch meine Hilfsbereitschaft und Begeisterung in ein inneres Chaos meiner Gefühle gerate, wurden mir dann ziemlich schnell klar.

Ich staune noch immer, wie rasch Erkenntnisse auftauchen, wenn ich mich gelöst habe vom fast zwanghaften Lösen-wollen von Problemen. Erstaunlich ist auch, wie einfach ich dann zu Entscheidungen komme.

Hilfsbereit zu sein, ist nicht falsch.

Begeisterung ist etwas Schönes, keine Frage.

Wenn sich das alles jedoch nicht richtig anfühlt, weil es einseitig ist/wird oder nur dem Zweck des/der anderen dient, ist etwas nicht okay, erkannte ich.


Fragwürdige Intentionen

Da stellt sich dann die nächste Frage, die nach dem Warum.

Erstens bemerke ich in den allermeisten Fällen zeitverzögert, dass ich etwas lieber nicht hätte zusagen sollen. Doch dann ist es zu spät. Und eine Zusage, von der Termine/Vorhaben anderer abhängen, die sich dann auf mich verlassen, kann ich einfach nicht zurücknehmen. Es bringt mein Gewissen in Schwierigkeiten, denn die anderen verlassen sich auf mich. Ich will nicht unzuverlässig sein.

Zweitens springt mein Motor mit hochdrehendem Getriebe sofort an, wenn mich eine Idee begeistert. Gottlob hatte die Sache mit der Erkrankung im Februar in dieser Hinsicht ein Gutes: Mein Bauchgefühl ist zumindest bezüglich der Begeisterungsfallen schon mal wieder vorhanden! Bevor ich jetzt mit einem Hurra Vollgas gebe, um in der ersten Kurve eine Vollbremsung hinzulegen oder aus der dritten rauszufliegen, atme ich erstmal tief ein und aus und denke nach. Was inzwischen meistens dazu führt, dass ich nein sage.

Doch zurück zu erstens: Was genau treibt mich denn an, bei der Bitte um Unterstützung nicht nein sagen zu können?

Ich denke, es handelt sich dabei um ein anerzogenes Verhalten. Eine uralte Plattenrille, wie ich immer sage, die schon tief eingegraben ist und in die ich allzu leicht wieder hineinrutsche.


Immer und zu allem bereit

„Sei deines Vaters Freude und deiner Mutter Zier." Den Spruch haben sicher ganz viele Mädchen in ihrem Poesiealbum stehen. Jedenfalls war es so, als Poesiealben in Familie, Freundeskreis, Schulklasse usw. noch die Runde machten. In meinem Album steht das zwar nicht, aber gehört habe ich den Spruch des Öfteren. Welche Bedeutung der Satz hat, muss ich hier nicht erläutern.

War ich meines Vaters Freude?

Keine Ahnung. Falls es so war, hat er es meisterhaft für sich behalten.

War ich meiner Mutter Zier?

Ich glaube, ja. Zumindest für eine lange Zeit und solange es sie wirklich zierte, sie hervorhob und glänzen ließ in den Augen ihrer Freundinnen, in der Familie und in der Öffentlichkeit, vor allem aber in ihrem Spiegelbild.

Das daraus resultierende Verhalten sitzt so tief, dass es im Laufe des Lebens erst einmal nicht auffällt. Im Gegenteil. Ich habe es über Jahrzehnte verfeinert. Es hat dazu geführt, dass ich immer und zu allem bereit war. Meine Mutter hielt das für unabdingbar. Es sollte  Höflichkeit und Respekt demonstrieren. Gleichzeitig führte es für mich wie für sie und vor allem für sie (als „Oscar" für die gute Erziehung) zu Anerkennung.

Mir wird ganz schlecht, wenn ich an diese sogenannte Anerkennung denke. Ohne Rücksicht auf unbehagliche Gefühle hatte ich alles in diesem Sinne zu tun und zu ertragen. Mir wäre nie eingefallen, anders zu handeln … meiner Mutter Zier zu sein, war mir immens wichtig. Es war außerdem die einzige Möglichkeit für mich, überhaupt wahrgenommen zu werden.

Das Ganze hat nicht nur nachteilige Auswirkungen auf meine zwischenmenschlichen Verbindungen gehabt, sondern mir auch richtig geschadet. Das auszuführen, würde jetzt allerdings zu weit gehen.

Mir fällt ein, dass das vielleicht ein guter Stoff für ein Buch sein könnte … (aber nur vielleicht)


Jedenfalls ist dieses Immer und zu allem bereit" der Kern meines Problems mit der Hilfsbereitschaft und der Begeisterung. Ich hatte von Kleinkindesbeinen an verinnerlicht, dass ich nur durch dieses Verhalten die Freude, Dankbarkeit, Lob und Anerkennung meiner Mitmenschen erringen kann. Dass sie mich nur dann gernhaben.

Heute sitze ich hier und schüttle den Kopf über dieses unsinnige Verhaltensmuster, das meine zwischenmenschlichen Verbindungen  prägte. Was sind sie denn wert, wenn ich darum ringen muss, gemocht, gelobt, anerkannt und wertgeschätzt zu werden?


Damit ist nun Schluss

Das Chaos außen spiegelt das Chaos innen. Momentan habe ich das Gefühl, ich werde vom Universum, vom Schicksal, vom Leben dazu gedrängt, ja regelrecht gezwungen, endlich in meinem Innern aufzuräumen.

Schluss mit allzeit bereit und zu allem imstande! Die Wirkung auf mein Inneres, auf meine Gefühle kommt immer zeitverzögert hinterher, weil es aus der Erfahrung resultiert. Aber nun will ich keine Erfahrung dieser Art mehr machen, sofern ich es verhindern kann. Das wird wohl in den allermeisten Fällen funktionieren, wenn ich vor einer Entscheidung in mich gehe und überlege und dann zusage oder absage bzw. – wie mit der Begeisterungsfalle – dann nicht in die Falle gehe.


Was bedeutet das konkret?

Die Liste wäre gar nicht so lang, denke ich. Dennoch will ich das hier nicht detailliert aufschreiben. Die Menschen, die mich kennen und mit denen ich in familiärer und/oder freundschaftlicher Verbindung stehe, werden mein verändertes Verhalten in Zukunft spüren. Reden könnte helfen; und in mindestens einem Fall wird es das auch. Aber ich habe vor allen Dingen gelernt und auch erlebt, dass ich das Verhalten der anderen nicht ändern kann.

Aber sobald ich mein eigenes Verhalten ändere, tun es fast automatisch auch die anderen. (Transaktionsanalyse, sehr wertvoll!)


Fazit

Wie so oft erkenne ich, dass die Antworten auf derlei Probleme immer in uns selbst zu suchen und zu finden sind.

Deshalb dürfen wir Menschen nie die Verbindung zu uns selbst verlieren. Davon hängt so vieles ab! Die zahllosen äußeren Reize sind  darauf ausgerichtet, uns genau davon abzuhalten. Das ist nicht nur dafür verantwortlich, dass wir im Hier und Jetzt Schwierigkeiten haben, konzentriert und fokussiert zu sein und zu bleiben, es hält uns auch erfolgreich davon ab, uns selbst zu erkennen, zu verstehen und zu heilen. Sprichwörtlich zu uns zu kommen und bei uns selbst zu sein. Es verhindert unter anderem, dass wir schädliche Glaubenssätze erkennen und uns von ihnen verabschieden zugunsten eines besseren Bewusstseins, wer wir und wie wir wirklich sind.

Keine Frage, dass das schwierig sein kann. Aber es lohnt sich. Wenn wir wieder aufmerksamer werden, erkennen wir auch die  „Bälle, die uns zugeworfen werden", die Signale in Worten, Bildern, Gefühlen …, die uns auf unserem Weg durch manche knifflige Situation und durch das Leben helfen.


Ich wünsche Ihnen einen schönen Sommerausklang.


Herzlichst

AF 






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