Pendel, Glaskugel, Karten …
oder eine Münze werfen?

Mit Entscheidungen habe ich grundsätzlich kein Problem. Aber auch in meinem Leben gab und gibt es Situationen, da weiß ich einfach nicht, welche Entscheidung die passendste ist, welche richtig oder falsch ist. Zumindest hätte ich dann gern eine starke Ahnung, was richtiger wäre, falls sie falsch sein sollte. Und sofort werde ich mit der Nase auf eine meiner eigenen Aussagen gestoßen: »Entscheidungen sind nicht für die Ewigkeit. Es gibt auch keine falschen Entscheidungen, weil jede jederzeit geändert werden kann. Zudem sind Wege, die wir aufgrund vermeintlich falscher Entscheidungen gehen, meistens eine (Lebens-)Bereicherung.«
Damit nahm ich vor langer Zeit meinen Kindern den Druck, den sie sich selbst bereiteten, als es um die Entscheidung für einen Beruf ging. Sie fürchteten, einen einmal gewählten Beruf ein Leben lang ausüben zu müssen, obwohl sie vielleicht irgendwann feststellen, dass er sie nicht erfüllt, ihnen keine Freude macht, keine Zufriedenheit verschafft.
Tja, und jetzt muss ich eine Entscheidung treffen, eine sehr wichtige.
Mit 60+ nochmal neu anfangen
»Es ist nie zu spät für einen Neuanfang.« Ebenfalls eine Überzeugung meinerseits. Diese Entscheidung ist definitiv gefallen. So weit, so gut. Nun ist es aber leider so, dass ich mein Zuhause, in dem ich seit dem Rohrbruch und den Folgen einfach nicht mehr ankomme, nun endgültig verlieren werde. Wieso eigentlich?
Wie ich in meinem Beitrag vom 1. September schilderte, setzt mich das Vorgehen des Vermieters zeitlich wie finanziell unter Druck. Einerseits. Andererseits rennt er eine offene Tür ein. Denn da der geplante Neuanfang seit dem Rohrbruch laufend sabotiert wird durch unvorhergesehene Ereignisse und ich hier einfach keine Ordnung in mein Wohn- und Arbeitsumfeld kriege, hatte ich ohnehin beschlossen, bald auszuziehen. Nur wollte ich mir damit Zeit lassen und hatte die Idee, im Frühling beispielsweise in eine andere schöne Wohnung zu ziehen.
Über das Wohin war ich mir allerdings noch nicht ganz klar geworden. Doch drängt sich das nun mit Macht auf.
Überlegungen
Die kritischsten und unangenehmsten Fragen, die mir in den Sinn kamen, seit feststeht, dass mir das Wohnen hier unmöglich wird, waren folgende:
- Was würde mir fehlen, wenn ich z. B. in den schönen Norden ziehe? Die Nähe zu …? Immerhin 500 bis 600 km weit weg von hier.
- Was hält mich hier eigentlich noch? Kinder und ihre Partner? Soziale Kontakte?
- Was ist mir so wichtig, das es ich auf keinen Fall zurücklassen will? Mhm, das Orchester. Musik ist mir sehr wichtig.
Aber mal der Reihe nach. Entfernung war für mich noch nie ein Problem, solange ich möglichst unabhängig mobil sein kann. Vom Fahrrad übers Auto bis zu Bahn und Flieger kann das alles sein. Und es ist ja heutzutage gar kein Problem mehr, über sehr weite Entfernungen Kontakte gut zu pflegen. Ein weiterer Aspekt: Räumliche Nähe erzeugt nicht mehr Begegnung, wie räumliche Distanz nicht auch persönlichen Abstand bedingt. Heißt aus meiner Erfahrung, dass ich vor einiger Zeit nur 2 km, 8 km bzw. 20 km von meinen Kindern entfernt lebte, wir uns aber auch nicht häufiger sahen als jetzt, da die Entfernungen 10 km, 96 km sowie 145 km betragen. Meine öfter geäußerte Anregung, wir könnten doch Facetime oder WhatsApp-Video nutzen, wurde immer bejaht, aber nicht genutzt. Vielleicht würde das tatsächlich klappen, wenn die Distanz deutlich größer wird?
Aus dieser Beschreibung lässt sich ableiten, dass es nicht die Kinder sind, die mich hier halten. Auch nicht die Enkel, die ich ja auch schon habe. Zu dreien besteht fast kein Kontakt aus allerlei Gründen, die nicht allein bei mir liegen, aber hier nun nichts zu suchen haben. Und das vierte Enkelkind ist weite Entfernungen von Familienmitgliedern gewohnt, denn die andere Omi lebt in Chile. Außerdem: Meine Kinder/Enkel machen ihre Wege ins Leben und sonst wohin sicher nicht davon abhängig, wie weit oder nah ich ihnen bin.
Bleiben also noch die sozialen Kontakte. Was war das noch? Ach so, das hatte ja dank dieser unseligen Corona-Dings-Krise nicht funktioniert. Meine direkten Nachbarn haben in den ersten drei Jahren gewechselt. Drei von ihnen sind deutlich jünger mit einem entsprechend anderen Lebensstil. Eine ist Alkoholikerin, und ich kann sie inzwischen nicht mehr einschätzen; heute ist sie zurücksüß und freundlich freundlich und morgen blafft sie mich an aus unsinnigem Grund. Die netteste, die über mir wohnte, ist längst ausgezogen, und die Nachfolgerin ist in ihrem Beruf sehr gefordert durch Schichtdienst. Bleibt noch die Nachbarin von der gegenüberliegenden Straßenseite. Die ist mir auch ein bisschen Freundin geworden. Das "bisschen Freundin" bezieht sich darauf, dass unsere Verbindung nur sehr sporadisch ist. Mal haben wir über Tage hinweg häufiger Kontakt, dann wieder vergehen mitunter Wochen, in denen wir uns nicht sehen und sprechen. Sie ist in ihrem Alltag sehr eingespannt.
Also Frage Nr. 2 kann ich mit einem "Nichts" beantworten.
Frage Nr. 3 wird schon schwieriger. Gestern Abend war Probe, und das war wieder schön. Erstens macht mir das Musizieren Freude und zweitens habe ich die Menschen, mit denen ich das tue, ins Herz geschlossen. DAS fiele mir sehr schwer, müsste ich es hinter mir lassen. Doch wäre das Grund genug, hierzubleiben? Vermutlich nicht, und dabei sind die Gründe ähnlich wie bei Kindern und sozialem Kontakt.
Und: Spieler kommen, Spieler gehen. Die Zukunft ist auch durch mein Alter begrenzt, denn irgendwann lässt vermutlich die Fingerfertigkeit nach, und ich werde dann nicht dabeisitzen und Murks spielen. Und wie sich das Leben der anderen entwickelt, ist ein unberechenbarer Faktor. Überdies gibt es in anderen Regionen auch gute Orchester. Eine neue musikalische Heimat ist vermutlich leichter zu finden als eine neue Wohnung.
W o h i n ? ? ?
Norden, Süden, Osten, Westen … Mhm. Ich fange mal hinten an.
Der Westen kommt nicht infrage, denn da bin ich ja schon. Weiter westlich hieße, in die Niederlande, nach Luxemburg oder Belgien zu ziehen, was ich nicht möchte. Der Osten ist mir zu tief in Europa. Warum sich das so unbehaglich anfühlt, kann ich nicht genau sagen. Aber mir reicht das unbehagliche Gefühl, um einen Umzug dahin nicht in Erwägung zu ziehen.
Der Süden ist seit Jahren out für mich. Die Bayern liegen mir nicht, obwohl die Landschaft herrlich ist. In Baden-Württemberg war ich mal, und … nein, dieser Menschenschlag liegt mir bei aller Anpassungsfähigkeit meinerseits auch nicht besonders.
Bleibt der Norden. Ich lächle. Erstens habe ich familiäre Wurzeln dort, denn die Familie meines Vaters stammt beispielsweise aus Mecklenburg und hat unweit der Ostsee gelebt. In Nordfriesland habe ich Verwandte. Auch habe ich immer wieder Zeit im Norden verbracht. Urlaub natürlich, aber ich war auch mal für ein knappes Jahr in Esens "stationiert". Und das hat mir immer gut gefallen.
Die Menschen, das Wetter, vor allem die Meere sagen mir zu. Wichtig auch: keine so dichte Besiedelung. Ich brauche Raum, und die endlose Aussicht über die Nordsee hinweg ist genau das, was diese Weite in mir entstehen lässt, die ich liebe..
Was ist eigenlicht mit: HIER? Wäre das nicht am einfachsten, in dieser Gegend eine neue Wohnung zu finden? Es wäre zumindest naheliegend. Mir gefällt die Region durchaus. Aber das reicht als Argument nicht, denn auch andere Landstriche in Deutschland sind schön. Was lässt mich diese Option also eher nicht in Betracht ziehen?
Vielleicht die fehlenden sozialen Kontakte. Ich habe hier … nein, nicht keine Wurzeln geschlagen, das stimmt so nicht. Ich wurde entwurzelt. Einmal durch die Rohrbruchsache, die irgendwie gleichzeitig einen Bruch in meinem Leben verursachte. Und dann durch den "Einbruch" in meinen Körper, als ich Anfang Februar eine größere OP im Bauchbereich über mich ergehen ließ. Seitdem sind so viele Gedanken in mir aufgekommen, so viele Frage nach dem Warum, Wohin und Wie.
Gleichzeitig habe ich nun Monate gestrampelt und gekämpft, um hierzubleiben, mich auch wieder zu Hause zu fühlen – doch meine Versuche werden immer häufiger und zunehmend heftiger sabotiert. Der Druck seitens Verwaltung/Vermieter ist so ziemlich das härteste Mittel, mich die Notwendigkeit des Wandels erkennen zu lassen. Wenn ich also jetzt nicht begreife, dass endlich eine Änderung vonnöten ist, dann bin ich nicht nur blind für die Zeichen, sondern auch blöd.
Die Antwort auf das Wohin könnte also nach NORDEN heißen.
Wohnraum und Mietpreise
Wer freiberuflich arbeitet und kein externes Büro finanzieren will und kann, arbeitet im häuslichen Arbeitszimmer. Daraus folgert, dass ich eine 3-Zimmer-Wohnung benötige. Ich stelle mir mindestens 65 qm vor. Vorzugsweise Erdgeschoss mit kleiner Terrasse und einem Stellplatz oder Carpot. Wohnen und Arbeiten in der ersten Etage, mit Balkon und Stellplatz ginge auch. Ländliche Umgebung soll es wieder sein, ein kleiner Ort, ein Dorf mit einer etwas größeren Stadt in der Nähe, die sowohl mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie natürlich mit dem eigenen Pkw erreichbar ist.
Was für mich nicht geht: wohnen in einem großen Mehrfamilienhaus. Zwei, vier, maximal sechs Parteien in einem Haus mit Platz drumherum – also um das Haus herum – ist genau das, was Menschen grundsätzlich guttut. Wohnen/Leben in einem Hochhaus, neben dem oft ein oder mehrere weitere stehen, hat einen schlechten Einfluss auf die Psyche der Menschen. Viele wissen das längst.
Jedenfalls wird es nicht leicht, eine Wohnung nach diesen Vorstellungen zu finden. Zum einen sind Angebote rar, zum anderen haben manche Vermieter Preisvorstellungen, die Menschen mit kleinerem bis mittlerem Einkommen klar ausgrenzen. Ich beispielsweise müsste mehr als die Hälfte meines bescheidenen Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Ein in unserem Land dringend zu behebender Missstand, wenn Sie mich fragen.
Entscheidung
Alle diese Überlegungen sind wichtig. Eine Entscheidung ist trotz der Antworten auf die Fragen noch nicht gefällt. Sobald ich mich innerlich darauf ausrichte zu entscheiden, fühle ich mich irgendwie unbehaglich. Ich weiß, dass das weniger mit dem Ent-Scheiden als vielmehr damit zu tun hat, dass ich unter kontraproduktivem Zeitdruck stehe. Außerdem will ich u. U. ja 500 bis 600 km weit weg. Das macht Besichtigungen schwierig. Hinzu kommt, dass ich viele Termine vorwiegend an Wochenenden habe und ich deshalb schlecht planen kann, wann ich mir Termine organisiere und dann für zwei, drei Tage gen Norden fahre für Besichtigungen.
Schlimm finde ich das! Ganz schlimm! Und ich kann es drehen und wenden wie ich will, dieser Druck schmeckt mir einfach nicht.
Geplant war, dass ich vor Weihnachten mal für 8 bis 10 Tage nach Husum fahre, Menschen und Umgebung erkunde, Atmosphäre aufnehme und mich einfühle. Ich will herausfinden, wie sich das anfühlt, dort zu sein. Und in einer Zeit, wenn Touristen spärlich da sind und ich mit Einheimischen in Kontakt kommen könnte, wäre das ideal. Nur so könnte ich herausfinden, ob ich mir dort dauerhaft ein Leben vorstellen kann. Aber wie das mit meinen Plänen seit fast anderthalb Jahren ist: Irgendwas kommt immer dazwischen und wirft alle Pläne über den Haufen.
Einzig das "Weg von hier" drängt sich immer stärker auf. Aber wohin? Und wie genau?

Ich warte auf Impulse, die mich klar erkennen lassen, dass ich die richtige Richtung einschlage.
Ein Orakel zu befragen wäre immerhin eine Möglichkeit, Antworten im Rahmen von Ja und Nein zu erhalten. Pendel oder Glaskugel? Karten können in ihrer Aussage sogar weise sein … und die hab ich tatsächlich schon gezogen; mit positivem interessantem Ergebnis. Allerdings keine Antwort auf Wohin und Wie.
Wenn alle Stricke reißen, werde ich eine Münze werfen … auch eine Option, oder?
Nachdenklich und um Ruhe bemüht
auf jeden Fall herzlich
AF